Celeste Ng – Kleine Feuer Überall

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Auf einmal ist dort Feuer, überall – in jedem Schlafzimmer. Was würden wir tun, wenn all unsere Habseligkeiten den Flammen zum Fraß vorgeworfen werden.
Mrs. Richardson steht einfach fassungslos vor ihrem niederbrennenden Haus und resümiert die vergangenen Wochen. Was ist passiert? Wie konnte das geschehen?

Es waren viele kleine Momente, viele kleine Puzzleteile, die die Situation zum eskalieren gebracht haben. Vielleicht begann es mit dem Einzug der allein erziehenden Künstlerin und deren Tochter, die schnell eine Freundin der Familie wurde. Vielleicht war es aber auch schon die Überfürsorge für die jüngste Tochter der Familie? Vielleicht aber auch die Geheimnisse eines jeden, die langsam – wie bei einem überquellendem Fass – ans Tageslicht kamen? Was es auch immer war, eins ist ganz gewiss, die kleinen Feuer, die brannten schon bevor die Schlafzimmer entzündet wurden.

Auch in ihrem zweiten Roman gibt uns Celeste Ng einen detaillierten Einblick in das Leben ihrer Hauptfiguren. In Kleine Feuer Überall haben wir zwei Familien, deren Art zu Leben nicht unterschiedlicher sein könnte. Im Gegensatz zur strukturierten und fast zum Ideal stilisierten Familie Richardson, steht Künstlerin Mia mit ihrer Tochter Pearl für Chaos, Freiheit und dem Künstlerleben. Doch Mrs. Richardsons Sohn Moody und Pearl werden schnell Freunde. Während er in ihr das exotisches, schlaue Mädchen sieht, hat Moody alles, was Pearl nie hatte: Stabilität, ein Zimmer und Geschwister. Und so erzählt Celeste Ng von einer aufkeimenden Freunschaft, von Eifersucht, verpassten Chancen, Geheimnissen und Missverständnissen.

Erzählt wird im Perspektivenwechsel, damit jeder Charakter seine eigene Geschichte und seinen eigenen Raum kriegt. Wie ein kleines Netz ziehen sich die einzelnen Handlungen durch die Erzählung, bis wir am Ende angekommen sind und vieles sich erklärt – oder auch in Flammen steht. Gekonnt und auf einem sprachlich wunderbaren Niveau führt uns Celeste Ng von einem Thema zum Nächsten: von dem Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern, um Identität, im Bezug auf die Rasse, aber auch im familiären Kontext, um Geheimnisse, um Tabuthemen, wie Abtreibungen und Adoption. Es ist viel für so ein kleines Buch, wirkt aber an keiner Stelle überladen, sondern genau richtig. Die Themen schmiegen sich an die Geschichte, sind ein Teil von ihr und wirken zu keinem Zeitpunkt gewollt. Auch die Charaktere sind stimmig, in dem großen Ganzen geht keiner unter, auch nicht die Nebencharaktere und -geschichten.

Wer also schon das Erstlingswerk Was ich euch nicht erzählte mochte, der wird auch Kleine Feuer überall zu schätzen wissen. Doch auch für die Celeste Ng noch ein neuer Name ist, sollte der Roman eine wahre Freude sein: tiefsinnig, hervorragend und bemerkenswert.

 

 

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Axel Ranisch – Nackt über Berlin

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Letztens hörte ich diesen einen Satz aus meinem eigenen Mund „Ich glaube, diese Jugendbücher und ich – wir haben uns verloren.“ Und da ist auch was Wahres dran. Vor einigen Jahren noch, habe ich zu großen Teilen nur noch „New Adult“-Romane auf meinem Nachttisch gehabt und mich kreuz und quer durch das Genre gelesen. Doch, und ich denke noch nicht einmal, dass das etwas mit dem Älterwerden zu tun hat, bin ich etwas müde geworden. Es war so viel ähnlich, immer wiederkehrende Charakterzüge, Schicksalsschläge und Wendepunkte – umso mehr ich las, umso weniger konnte mich fesseln.

Doch da es immer anders kommt als man denkt, landete durch einen Zufall „Nackt über Berlin“ bei mir. Bisher schrieb Alex Ranisch Drehbücher, brachte „Ich fühle mich Disco“ in die Kinos und führte bei zwei Folgen Tatort die Feder. Doch nicht immer muss alles auf die Leinwand, manchmal müssen die Wörter auch einfach auf’s Papier.

Und worum geht es nun? Um Jannik und Tai, die auch zum Gespött der Anderen Fetti und Fidschi genannt werden. Zwei Außenseiter wie sie eben im Buche stehen. Jannik steht auf klassische Musik und wiegt für seine Mitschüler zu viel, Tai ist Vietnamese und der rätselhafte, nicht durchschaubare Part des Duos. Ansonsten sind es eben zwei normale Jugendliche, die eines Nachts ihren Direktor auf der Straße aufsammeln . Der ist jedoch sturzbetrunken, völlig orientierungslos, aber auch redselig. Kurzer Hand sperren sie ihn in seine Wohnung ein und was noch als Spaß anfing, wird irgendwann bitterböser Ernst.

Was eine abstruse Romanidee und doch – sie funktioniert. „Nackt über Berlin“ ist ein skurriler Jugendroman, der an vielen Stellen vor Wortwitz nur so strotzt, aber an anderen Passagen mit Tiefe punktet. Die Charaktere sind wunderbar durchdacht, wirken nicht zu überspitzt und stellen nicht die typischen Stereotypen vieler Genrekollegen da.  Jannik ist so unsicher, zeitgleich so herzlich und so unbedarft, dass man nicht nur für die kleine Romanze mitfiebert, sondern gänzlich all seine Unsicherheiten versteht: zu dick, zu alternativ, zu anders – sicherlich, wir alle haben uns schon einmal so gefühlt. Zeitgleich sitzt in einer abgeschlossenen Wohnung der gefallene Rektor: Vom angesehenen Vorbild zum jämmerlichen Alkoholiker, der sich um Kopf und Kragen redet. Doch auch hier versteht man schneller als gedacht die Zwickmühlen und beneidet ihn keineswegs um seine zwischenmenschlichen Baustellen.

Natürlich ist die Geschichte an manchen Stellen mit einem wohlwollenden „Akzeptieren“ zu lesen, da Jannik und Tai schon technische Genies mit sehr viel Glück sein müssen, um diesen Akt zu inszenieren. Doch, wenn man dies tut, dann entdeckt man eine kleine Perle, die mit einer spannenden Geschichte, gut geschriebenen Zeilen und eigenwilligen Charakteren punktet.

[Rezension] Ruth Ware – Woman In Cabin 10

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Endlose Weite, das beruhigende Rauschen der Wellen, nur das Wasser, sonst niemand – was nach der nächsten großen AIDA-Reise und dem Traum von Erholung pur klingt, ist für die Journalistin Lo der reine Albtraum. Sie befindet sich auf einem Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse, dazu noch auf Pressereise. Ein wahrgewordener Traum, in privater als auch in beruflicher Sicht. Doch die Stimmung schlägt schnell um, denn schon in der ersten Nacht wird sie Zeugin eines Mordes. Nur, dass keiner die Passagierin aus der Nachbarskabine je gesehen hat. Schon nach kurzer Zeit beginnt Lo selbst zu zweifeln, wenn nicht immer mehr seltsame Dinge passieren würden…

Eigentlich mag ich keine Thriller, in denen nur ein „begrenzter“ Raum zur Verfügung steht. Geiselnahmen, Schiffahrten, Flugzeuge – all das, löst vorrangig erstmal Skepsis in mir aus. Aber Ruth Ware spielt in ihrem Thriller „Woman in Cabin 10“ ihre Karten gut aus. Ein guter Roman, nicht langweilig, nicht zu verworren, obwohl die einzelnen Charaktere in den verschiedenen Kabinen zunächst sehr unübersichtlich waren.

Doch man freundet sich schnell mit Lo an. Eine – für einen Thriller – gar nicht mal so blasse Hauptfigur, die für den Leser nachvollziehbar handelt und sogar sympathisch wirkt. Das Buch hat Irrungen und Wirrungen, Ware führt den Leser auf Umwege zum eigentlichen Ziel: Wer ist die Frau aus Kabine 10? Die restlichen Passagiere sind – im Gegensatz zur unserer Protagonistin – jedoch nicht mit Tiefe gefüllt. Da kann man schon mal den ein oder anderen Gast verwechseln und verwirrt hin und her blättern.

Die Auflösung hingegen war überraschen und für mich nicht vorhersehbar. Während jedoch die Identität der mysteriösen Frau höchst überraschend war, war das Ende des Buches leider viel zu stringent. Nachdem das Geheimnis um den ominösen Fahrtgast gelüftet war, kamen leider keine neuen Wendungen dazu. Bis dahin war der Thriller spannende Unterhaltung, danach lag das Buch leider im Durchschnitt und wurde solide und etwas eintönig zu Ende gebracht.